Wiederaufbau
So schwer auch das Unglück unseren Ort traf: Es wurde für ihn der Ausgangspunkt einer vollkommen neuen Stadtentwicklung!
Der im Frühjahr 1803 genehmigte Stadtplan für den Wiederaufbau berücksichtigte die Erfordernisse der neuen Zeit. Die Stadtmauer, welche die Stadt einengte und keinen Schutz mehr bieten konnte, ist abgebrochen und für neue Fundamente verwendet worden. Der Festungsgraben wurde größtenteils mit Schutt ausgefüllt. Waren vorher die Straßen und Fußwege eng und verwinkelt, die Häuser sehr ungleich aufgebaut, so wurden jetzt die Straßen erheblich verbreitert und ordentliche Fluchtlinien geschaffen.
Die Grundstücke mussten deshalb neu vermessen werden, welches keine leichte Aufgabe war. Bei der Zuteilung der Grundstücke wurde auch darauf geachtet, dass vorhandene Grundmauern, Keller und Brunnen nach Möglichkeit noch genutzt werden konnten. Statt der Holzschindeln und Stroh wurden hauptsächlich als Bedachungsmaterial "Leien“ (Schieferplatten) verwendet. Die Düngerhaufen, die bis dahin vielfach vor den Häusern lagen, verschwanden.
Der quadratische Markt, der diagonal von der Kaiserstr. geschnitten wird, trägt dazu bei, dass der Charakter einer ländlichen Stadt durch den Wiederaufbau nicht verloren gegangen ist. Bemerkenswert ist, dass der Marktplatz und die neuen Straßen vorerst nicht gepflastert wurden. Bei starken Regen weichten die Straßen auf und das Regenwasser vermischte sich mit Abwasser und Jauche in den Pfützen. Die Straßenpflasterung erfolgte 1839. An Straßenbeleuchtung dachte damals noch kein Mensch. Wer abends im dunkeln ausging, der nahm seine eigene Laterne mit...
Der Wiederaufbau ging langsam voran. 1810 wurden 200 neue schieferbekleidete oder gebälkte, meistens mehrstöckige Reihenhäuser gezählt. Als 1813 der Tagelöhner Philipp Bernhard, der als letzter Obdachloser mit seiner Frau in einem Zelt auf dem sogenannten Kuhmarkt jahrelang gelebt hat, ein Obdach fand, wurde der Wiederaufbau als abgeschlossen betrachtet.
In der Gemeinde Radevormwald lebten zu diesem Zeitpunkt insgesamt 3.700 Seelen. Was die Beschäftigung angeht, so sind hauptsächlich die Gewerbe zu finden, die mit dem täglichen Leben zu tun haben: Bäcker, Metzger, Schuster, Schneider, Uhrmacher usw. sowie die erforderlichen Geschäfte und Handlungen. An industriellen Gewerben begegnen uns Strumpfweberei, Siamosenweberei, vereinzelt auch Tuchweberei; in der Niederbauernschaft die Hammerschmiede (Kleinschmiedereien), ferner blüht auf dem Lande die Landwirtschaft und an den Fluss- und Bachläufen die Müllerei.
Ein Gewerbe, das in den 20er und 30er Jahren eine große Ausbreitung erfährt, fehlt noch fast vollständig: die Herstellung von Schlössern.